"Es ist wohl endlich an der Zeit, dem Kulturgebäude das Aussehen einer Feldscheune zu nehmen ..."
aus einer Bürgerbeschwerde, das spätere Clubkino Karl-Marx-Stadt/Siegmar betreffend, Anfang der 1960er Jahre

Grundlegendes Merkmal und gleichzeitig eines der größten Probleme des DDR-Lichtspielwesens war das mit 805 stationären Kinos (Stand 1989) enge und flächendeckende Filmtheaternetz. Vor allem die "Provinz"-Bevölkerung profitierte davon, denn es gab Lichtspielhäuser auch in vielen Städten und Gemeinden mit weniger als 50.000 Einwohnern, "einer Ortsgröße, die unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr interessant erscheint" (Trotz, S. 21). Allerdings konnte die Standortverteilung nicht den stadtsoziologischen Entwicklungen der 1970er und 1980er Jahre angepasst werden – die Neubauviertel mit mehreren zehn- oder hunderttausend Einwohnern und auch einige der (aus dem Boden gestampften Industrie-)Kreisstädte wie Eisenhüttenstadt oder Schwedt blieben ohne Kino.

Dass sich vor allem die großen Kinos in baulicher Anlage und Besucherservice am Vorbild Theater orientierten, weist nicht nur auf die Bedeutung hin, die dem Filmtheater als Kultur- und Bildungseinrichtung zugeschrieben wurde. Es lässt auch den Kampf gegen Zuschauerverlust durch unbefriedigendes Filmangebot und teilweise abschreckende, ungemütliche Häuser durchschimmern.

'Volkslichtspiele' Meiningen, Zustand im Jahr 2000; Foto: Tröger
"Volkslichtspiele" Meiningen, Zustand im Jahr 2000; Foto: Tröger

Desolater Zustand der Lichtspielhäuser

Den Zustand der Filmtheater, besonders der kleineren, die nicht Ur- oder Erstaufführungstheater waren, lässt sich mit einem Wort charakterisieren: desolat. Bei der Besichtigung von 306 repräsentativ ausgewählten Filmtheatern in der gesamten DDR im Zeitraum 1965–1967 kam eine Arbeitsgruppe von Technikern zu der Einschätzung, dass sich nur 49 Prozent der Kinos in einem guten Allgemeinzustand befänden. 29 Prozent seien als genügend, 22 Prozent als mangelhaft zu bewerten. Die Technik funktioniere zwar noch, man sei in der Lage, alle gängigen Bildformate zu projizieren (in den 1960er Jahren hatte man man die Kinos so umgebaut, dass sie Filme im Cinemascope-Format – in der DDR aus Lizenzgründen Totalvision genannt – zeigen konnten), aber Projektoren, Tonanlagen und Bildwände seien zum Teil veraltet, so dass in Zukunft ein massives Ersatzteilproblem drohe.

Chronischer Geld- und Materialmangel

Dieser Zustand verschlimmerte sich trotz intensiver Rekonstruktionsbemühungen bis zum Ende der DDR, weil Geld und Material fehlten. Nur Bruchteile der jährlich benötigten Investitions- und Werterhaltungsmittel konnten aufgebracht werden. Eine Arbeitsgruppe zur Spielstellennetz-Erhaltung konstatierte 1978/79, dass im Durchschnitt pro Bezirk und Jahr fünf Filmtheater rekonstruiert werden müssten, aber nur "reale finanzielle Möglichkeiten für maximal 2 [sic] Objekte gegeben" seien. HV-Film-Leiter Horst Pehnert äußerte sich dazu auf der Theaterleiterkonferenz 1984: "Ich muß hier ganz offen sagen, daß dem kulturellen Bereich und damit auch für die Rekonstruktion der Filmtheater Investitionsfonds im Fünfjahrplanzeitraum bis 1990 nicht im erforderlichen Umfang zur Verfügung stehen werden, da wir alle Kräfte darauf konzentrieren müssen, das Wohnungsbauprogramm als Kernstück unserer Sozialpolitik [...] zu realisieren."

Mitarbeitermund die zweite :-); Original: Tröger
Mitarbeitermund die zweite :-); Original: Tröger

Die "Sessel-Frage"

Folglich musste 1989 beispielsweise festgestellt werden, dass das Gestühl in fast allen Filmtheatern in einem schlechten Zustand sei. Seit 1971 war aufgrund unzureichender Produktionskapazitäten (Es gab nur einen Hersteller von Kinogestühl – im sächsischen Waldheim – und natürlich private Handwerker, die meistens die Sessel für Kinoklubs und -bars lieferten.) nur in 227 Zuschauerräumen das Gestühl erneuert worden, erst in 19 Prozent aller Säle standen die heute üblichen Hochpolstersessel, bei denen sich unter Stoff und Schaumstoff noch ein Federkern bzw. geschnürte Federn befinden. Herkömmliche Ein-Saal-Reihenkinos waren mit Holzklappsitzen ausgestattet, die entweder gar nicht, nur mit Stoff oder Schaumstoff gepolstert waren. Der Leiter der HV Film kommentierte "die Sesselfrage" auf der 1977er Lichtspielkonferenz: "... wir haben keine. Es ist ganz einfach so, daß unser gewaltiges Bauprogramm sowohl das Wohnungsbauprogramm als natürlich auch [...] das Programm an Gesellschaftsbauten unsere Möbelindustrie überhaupt und die Sitzmöbelindustrie natürlich auf außerordentlichste wie es jeder weiß belastet, und daß wir nur eine ganz geringe Kapazität haben und daß wir auch, jedenfalls im Augenblick nicht im Stande sind, das zu importieren. [...] Und wir werden uns schon noch auf einige Jahre einstellen müssen, wo wir auch noch, wie sagt Konni [Konrad Wolf; T. T.] so eindrucksvoll, mit den Hintern Filme empfinden müssen." (Fehler im Original)

Verschlissene Projektoren und fehlende Ersatzteile

Lediglich 28 Prozent aller Filmtheater verfügten über moderne Projektoren, dagegen arbeitete man in 59 Prozent der Häusern mit Maschinen, für die es keine Ersatzteile mehr gab. Insgesamt wurde 1989 der Zustand von jeweils rund einem Drittel der Filmtheater als gut, befriedigend bzw. schlecht eingestuft – eine deutliche Verschlechterung gegenüber 1968.

Abhängig von Importen – also auch von finanziellen Mitteln – war die DDR bei der Vorführtechnik spätestens seit den 1970er Jahren. Die sozialistischen Ostblockstaaten hatten beschlossen, im Rahmen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) ihre ökonomische Entwicklung durch Abstimmung zu effektivieren. Der Filmprojektoren-Bau in der DDR wurde eingestellt, statt dessen lieferten die tschechoslowakischen Meopta-Werke 35mm-Projektoren und Tungsram aus Ungarn die Lampen (Xenon-Brenner). Jedoch konnte wegen chronischen Geldmangels nur ein Teil der alten Projektoren durch neue ersetzt werden. So protokollierte etwa die BFD Rostock 1984 einen Verschleißgrad von 76 Prozent bei ihren technischen Geräten, bei transportablen Anlagen sogar 88 Prozent. Über die Hälfte der stationären Maschinen seien zu 100 Prozent verschlissen.

Bausubstanz der Filmtheater

Ein weiterer wesentlicher Grund für die maroden Lichtspielhäuser war deren Bausubstanz: Ein Drittel aller 1967 betriebenen Filmtheater wurden vor 1900 erbaut, jeweils ein Viertel in den Zeiträumen 1900–1925 bzw. 1925–1945. Zudem waren die wenigsten Gebäude Kino-Zweckbauten, sondern umgenutzte ehemalige Gaststätten, Tanzsäle, Turn- oder Fabrikhallen. Da in den 1950er und 1960er Jahren die meisten Mittel in die technische Ausstattung und Umrüstung investiert werden mussten, wurden bis etwa 1973 Filmtheater nur im Bedarfsfall renoviert. Neu errichtete Kinos blieben nicht nur in dieser Zeit aufsehenerregende Ausnahmen: Beispielsweise gab es im Bezirk Leipzig 1972 nur vier nach 1945 erbaute Kinos. In Westdeutschland dagegen wurden in den 50er Jahren sehr viele neue Filmtheater errichtet – zwischen 1950 und 1959 stieg dort die Anzahl der Kinos um 73 Prozent. Mit dem vorhandenen Geld konnte auch später oft nur notdürftig die Bespielbarkeit der Filmtheater aufrechterhalten werden. Folge: der weitere Verschleiß der Gebäude und entsprechend viele Schließungen. Zwischen 1971 und 1988 mussten 116 Filmtheater geschlossen werden, aber nur vier Neubauten mit sechs Sälen waren zu verzeichnen (1972 Filmtheater Prager Straße Dresden, 1981 Berlin-Marzahn, 1982 Prisma Halle-Neustadt, 1987 Berlin-Hauptbahnhof) – allerdings auch 80 kleinere Zuschauerräume, die durch Teilung vorhandener Säle bzw. Ausbau von Nebenräumen geschaffen wurden.

Tanja Tröger 2004–2013